9. Mai 2019, 16:29 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Apple. Das Unternehmen, das für Nutzerfreundlichkeit, Kundenservice und Hilfsbereitschaft steht. Das Unternehmen, das seinen Kunden nicht etwas andrehen will, das sie nicht brauchen, sondern ihnen dabei helfen will, das Richtige zu finden. Ist Apple dieses Unternehmen wirklich oder ist es mittlerweile ein ganz anderes, das nur davon lebt, was wir darüber denken?
Kundenservice erst im nächsten Jahr
Letztes Jahr im Dezember, in der Weihnachtszeit, habe ich mein 2015er-MacBook, das ich auf der Arbeit zum Schreiben benutze, zum Apple Store gebracht. Ich bin Opfer von Staingate geworden, also von Flecken, die einfach auf dem Bildschirm aufgetaucht sind. Klare Sache eigentlich, Apple ist das Problem bekannt und die Gewährleistung für das schon etwas ältere MacBook wurde bis 2019 verlängert. Apple-typisch eben, damit sich der Nutzer um nichts kümmern muss. Ich gehe also zum Apple Store am Kurfürstendamm, damit sich ein Genius – das sind die Reparaturbeauftragten im Apple Store – das Gerät einmal anschauen kann. Als ich ankomme, steht eine Schlange bis draußen auf die Straße am Eingang, die von mal einem, mal zwei Mitarbeitern mit iPads abgefertigt wird.
Gut, denke ich, ich brauche ja keinen Termin und will auch nichts kaufen. Ich gehe einfach zur Genius Bar, dem Tresen, an dem früher die Geniuses warteten, an dem man einfach mit einem defekten Geräte vorbeikommt. Nachdem ich den Laden aber zweimal von vorne bis hinten durchkämmt habe, kann ich einfach keine Genius Bar finden. Nur Tische mit Produkten und, tja, Tische mit Produkten. Also stelle ich mich doch hinten an und warte, dass ich an der Reihe bin. Gestresst wie der Apple-Mitarbeiter ist, sind die Sätze kurz und knapp. Aha, MacBook mit Flecken auf Bildschirm – ein kurzer Blick aufs iPad – tut mir leid, unsere Termine sind bis nächstes Jahr ausgebucht. „Aber meine Garantie geht nur noch bis 2019“, versuche ich einzuwerfen, doch keine Chance, kein freier Termin heißt kein freier Termin – ich hätte mich ja vorher online anmelden können.
Meine, zugegeben, sehr persönliche Erfahrung spiegelt dennoch ein Gefühl wider, das sich auch bei Apple-Mitarbeitern breit macht. Dass Apple einfach nicht mehr den gleichen Kundenservice biete, den es in der Vergangenheit hatte. Im Zuge eines Insider-Reports, in dem Bloomberg ehemalige und aktuelle Apple-Mitarbeiter interviewt hat, kommt das besonders zum Vorschein.
Apple hat den PC-Laden salonfähig gemacht
Bevor es Apple Stores gab, waren unansehnliche Computerfachgeschäfte mit hinter Vitrinen versteckten Geräten und ein breiten Verkaufstresen, die das Gefälle zwischen Kunde und PC-Experte verdeutlichen, der Inbegriff von einem Technik-Laden. Apple hat es geschafft, entgegen aller Prognosen, den Technik-Laden attraktiv zu machen. Das ist größtenteils Ron Johnson zu verdanken, der den offline Apple Store innerhalb von elf Jahren mächtig expandierte. Das Einzelhandelsgeschäft von Apple wurde in dieser Zeit auf 350 Stores in mehreren Ländern ausgedehnt und brachte dem Unternehmen massig Geld ein. Mittlerweile gibt es über 500 Apple-Store mit 70.000 Mitarbeitern in 25 Ländern.
Apple macht immer noch erheblich mehr Umsatz in seinen Stores als die Konkurrenz, aber der rückgängige iPhone-Verkauf hinterlässt auch hier seine Spuren. Lange Zeit wurden kurzfristig verkaufsfördernde Maßnahmen wie Rabattaktionen, günstige Finanzierungen und Trade-Ins gemieden, jetzt sind sie auch in Apple Stores Realität.
Kurze Zeit nachdem Apple Anfang 2019 zum Schock der Wallstreet seine Absatzprognosen herunterschrauben musste, kam die Ankündigung, dass die bisherige Einzelhandelschefin Angela Ahrendts ihren Posten verlässt. Ersetzt wird sie jetzt durch die erfahrene Apple-Vorsitzende Deirdre O’Brien.
Vom Technik- zum Fashion-Salon
Unter Ahrendts wurden die Stores in Treffpunkte verwandelt – im Markentingsprech auch großspurig Town Squares genannt – mit edlen und modernen Designs, aber ohne eine klare Struktur. Kunden können daher nicht schnell in einen Apple Store gehen, ein Produkt kaufen oder reparieren lassen und dann wieder rausgehen. Sie müssen sich erst bei einem Apple-Mitarbeiter anmelden und einen Termin für einen Kauf oder eine Reparatur ausmachen. Feste Kassen gibt es nicht, stattdessen wird über ein iPad irgendwo im Store bezahlt.
Ahrendts kam aus der Modebranche und transformierte die Stores unter ihrer Leitung in offene, weitläufige und zum Staunen verleitende Ausstellungsflächen. Zur gleichen Zeit durchlief Apple die Transformation zum Fashion-Unternehmen und die Stores, die nun eher wie ein Juweliergeschäft wirkten – etwa mit mehreren tausend Euro teuren Apple Watches – passten perfekt zum Image.
Die früher feste Genius Bar, zu der man einfach gehen konnte, um sich mit einem Problem direkt an jemand verantwortlichen zu wenden, hatte keinen Platz in einem offenen Fashion-Store. Deswegen finden sich heute nur noch frei herumlaufende Geniuses hier, die nur per vorheriger Anmeldung bei einem Store-Mitarbeiter reserviert werden können. Die Geniuses haben zudem dadurch, dass der Tresen weggefallen ist und sie nur noch rumlaufen, keinen Platz mehr, sich die Geräte anzuschauen. Oft müssen sie deswegen in den Hinterzimmern des Apple Stores verschwinden und lassen den Kunden blöd in der Ecke stehen. Das ist gerade deswegen problematisch für die Kunden, weil diese mittlerweile ihre Geräte länger behalten und auf Reparaturen angewiesen sind.
Der Umbau zu einem Fashion-Unternehmen zog auch weitere Konsequenzen nach sich. Waren in den ersten Jahren die Apple-Mitarbeiter noch selbst sehr techy und hatten damit viel technisches Hintergrundwissen in Belangen wie Foto- und Videobearbeitung, sind die heutigen Mitarbeiter meist weniger firm in diesem Bereich. Früher haben neue Mitarbeiter zudem ein bis zu vier Wochen langes Training direkt im Hauptquartier in Cupertino bekommen, jetzt werden sie nur eine Woche lang direkt im Store auf ihre neue Aufgabe vorbereitet. Kunden können sich jetzt also nicht mehr wie früher mit den Store-Mitarbeitern über kreative Projekte unterhalten.
Der Kunde ist auf sich gestellt
Im Zuge der Umstrukturierung der Apple Stores sollten Kunden mehr Zeit mit Apple selbst verbringen, Produkte erkunden, an Events teilnehmen. Feste Tresen mit Kundenschlangen waren dafür ein Hindernis, deswegen wurden sowohl die Verkaufskassen als auch die Genius Bars abgeschafft.
Die Strategie ging jedoch nur bedingt auf. Ahrendts wollte die Terminvergabe online regeln, in der Praxis ist daraus aber nichts geworden. Statt vor den Tresen bildeten sich die Schlangen nun direkt am Eingang, da jeder mit einem bestimmten Anliegen erstmal einen Termin bekommen musste. Warten an der Kasse oder der Genius Bar wurde also nur ersetzt mit Warten bei einem Mitarbeiter mit iPad, der die Termine vergibt. Alle Termine für eine Reparatur heute und in den nächsten Tagen ausgebucht? Pech gehabt, buchen Sie doch online oder kommen Sie in zwei Wochen wieder.
Auch gab es früher ein Programm, bei dem man sich für einen jährlichen Beitrag anmelden und Einzelgespräche mit Mitarbeitern ausmachen konnte, um im Umgang mit dem erstandenen Apple-Gerät geschult zu werden. Mittlerweile bietet Apple pro Woche 18.000 kostenlose Events in seinen Stores, zu denen jeder kommen und etwas über eine bestimmte Funktion oder ein bestimmtes Gerät erfahren kann. Die Schulungen sind jedoch nicht individualisiert und bewegen sich nur so schnell wie der langsamste Teilnehmer.
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Apple hat jetzt die Chance, wieder mehr für den Kunden zu tun
Bei aller Kritik, die man im Nachhinein an Ahrendts äußern kann: Sie ist diejenige gewesen, die den Stores die minimalistische und doch beeindruckende Form gegeben hat, die von vielen Unternehmen wie Microsoft und Samsung kopiert wurde. Die Aufgabe der Nachfolgerin O’Brien ist es nun, die Stores wieder kundenfreundlicher zu machen. Es gibt Spekulationen, dass sie dazu wieder feste Bereiche für Ausprobieren, Kaufen und Reparatur einführen könnte. Das würde auch die Rückkehr die Genius Bar bedeuten, die mir bei meinem letzten Besuch im Apple Store so geholfen hätte.